Kai
Kai ging noch einmal zu den Hühnern und zu Emily, dem
Hängebauchschwein, um sich zu verabschieden. Er fuhr noch einmal zu seinem
Lieblingsplatz an der Summit Road, von wo aus man über die ganze Akaroa
Peninsula und bis zu den Klippen an der Einfahrt zum „Akaroa Harbour“ von der
Tasman Sea aus sah. Gestern hatte er ein letztes mal mit Elena und anderen
Musikerfreunden auf seinen Bongos getrommelt, ein letztes Konzert gegeben.
Kai und Elena hatten sich vor acht Jahren in Indien auf
einem Percussion-Workshop kennengelernt. Danach war er, der in Japan geboren
worden und in San Francisco aufgewachsen war, mit Elena in ihre Heimat, nach
Neuseeland gezogen. Dort hatten sie gemeinsam etwas aufgebaut: Die
Wiederbelebung der alten Hilltop Tavern, die auf einer Passhöhe auf dem Weg
nach Akaroa lag, in den 1920ern gebaut worden und mittlerweile ein
leerstehendes, heruntergekommendes Gasthaus war.
Kai war der Handwerker, Koch und Pizzabäcker, Elena das
„Mädchen für alles“, die Barfrau und Kaffeeköchin, und zugleich, oder vor
allem, waren sie Ideenbringer, Verwirklicher, Chefs, Visionäre, Musiker,
Veranstalter und ein Liebespaar.
Von der Terrasse und vom Garten der Hilltop Tavern – heute
ein gut besuchtes Restaurant-Café, in dem wöchentlich Livekonzerte stattfinden,
sieht man in fast 360 Grad auf den fjordähnlichen Akaroa Harbour, auf die
Buchten und Halbinseln, Landzipfel und umliegenden Grashügel, im Herbst eine
Komposition aus Gelb und Blau. Die Summit Road zieht sich in einem Halbkreis
von der Passhöhe über viele Steigungen und Kurven und den ganzen Fjord ständig
überblickend bis in das kleine Städtchen Akaroa mit seinem kleinen Leuchtturm am
Bootshafen und seinen von englischen und französischen Siedlern gebauten alten
Holzhäuschen mit Rosen in den Vorgärten.
Meine erste Woche im Hilltop war Kai’s letzte. Nachdem er
und Elena sich vor eineinhalb Jahren getrennt hatten, das Restaurant aber
dennoch gemeinsam weiterführten, war in ihm der Gedanke gereift, in seine
Heimat San Francisco zurückzukehren und das nächste Kapitel seines Lebens zu
schreiben. Elena hatte einen neuen Freund, einen ehemaligen Backpacker aus
Belgien, der aus Geldmangel in Akaroa als Kellner zu arbeiten begonnen hatte
und hier „hängengeblieben“ war. Nun war er Koch im Hilltop.
Ich beobachtete Kai beim Zusammenpacken seiner Dinge, seiner
Bücher und Instrumente, und es tat mir im Herzen weh: Ich stellte mir vor, wie
schwer es sein musste, nach so vielen Jahren des gemeinsamen Lebens und Tuns
nicht nur sein neues Zuhause, seine Projekte und Freunde, sondern auch seine
ehemalige Liebe zurücklassen zu müssen – auch wenn er mir gesagt hatte, dass
dieser Neustart sich für ihn richtig anfühle: „It’s OK. I’m a buddhist – don’t
hang on things…“.
Mir gefiel, wie er sich von allem – nicht nur von den
Menschen, auch von Orten, Tieren und Gewohnheiten – bewusst verabschiedete.
Ich kannte ihn nicht gut genug, als dass er mir mehr von
sich erzählt hätte. Doch als sein Auto zum letzten Mal durch das Tor des
Hinterhofs in Richtung eines neuen Lebens davon fuhr, hatte ich Tränen in den
Augen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen