Sonntag, 29. Dezember 2013

Geschichten vom Reisen: Kapitel 2

Heute vor einem Jahr war ich im Mekong-Delta.
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Bei der Polizei auf Taveuni (Fiji)

I
„Bitte wo geht’s hier zur Datumsgrenze?!“
Nach einer elendslangen Anreise mit Bus und Schiff hatte ich endlich meinen Fuß auf die zerbröckelnde Beton-Mole auf Taveuni gesetzt – ohne zu wissen, wo ich eigentlich war – abgesehen von der Tatsache, dass ich mich auf einer winzigen Insel mitten im Pazifik befand.
Ich wollte zur Datumsgrenze am 180. Längengrad – doch weder links noch rechts gab es einen Ort, ein Dorf zu sehen, nur viel Urwald auf den vor uns liegenden, wolkenverhangenen Bergen. Ich hatte die Frage dem Richtigen gestellt: Der neue Polizeikommandant von Taveuni – wie ich später herausfand – lud mich ein, mit ihm und seinen Vertrauten doch gleich im Polizeiauto mitzufahren, die Datumsgrenze liege ohnehin direkt neben der Polizeistation. So quetschte ich mich auf die Rückbank, mein großer Rucksack landete auf der Ladefläche des Pickup, und wir fuhren los.

Nachdem ich bei einem kaum zu findenden kleinen Monument am Ende eines Fussballfeldes zugleich im Gestern und Heute gestanden war, brachte mich der Chauffeur, vorbei an neuen Amtsgebäuden und dem ehemaligen Gefängnis, zu einer im hintersten Winkel des Grundstücks liegenden Wellblechbaracke. Dort saß Mr. George, der Polizeikommandant, zusammen mit seinen Mitarbeitern auf Bastmatten im Halbkreis auf dem Boden bei Kava.
Die Kava-„Zeremonie“ ist auf Fiji als Willkommens-Geste des Gastgebers und Dank-Geste des Gastes sehr wichtig und folgt strengen Regeln. Ich fühlte mich sehr geehrt, daran in dieser ehrenwerten Männerrunde als ausländische Frau teilnehmen zu dürfen.
Hier wurde aber alles sehr locker genommen.  Ich wurde allseits herzlich begrüßt sowie neugierig beäugt und setzte mich in den Halbkreis der Polizisten dazu. Durch meine Erfahrung einige Tage zuvor bei einem anderen Gastgeber (das wird eine andere Erzählung) wusste ich nun auch schon, wann ich den Regeln zufolge wie oft zu klatschen hatte, bevor ich die braune Brühe aus der Kokoksnuss-Schale trank. Ich! Mit dem Polizeipräsidenten! Allein! Auf Taveuni! Mitten im Pazifik! Ich war high, und das lag nicht an der leicht berauschenden Wirkung des Kava.

Schon allein für diese Erfahrung hatte sich die lange Anreise nach Taveuni und die Ankunft im Regen gelohnt. Doch es ging noch weiter mit der Polizei…

II

Zwei der Polizisten – einer hatte bei UN-Einsätzen u.a. im Kosovo und in Afrika gedient und schon einiges von der Welt gesehen – nahmen mich nach der allgemeinen Verabschiedung auf ihrem Heimweg mit zu meinem Guesthouse am Meer, das von Ila, einer älteren Dame, geführt wurde. Nachdem ich nur kurz Hallo gesagt und meinen Rucksack abgestellt hatte, machte ich mich auf einen Spaziergang dem Meer entlang und am kleinen Touristenflughafen vorbei bis zur nächsten größeren Bucht, bevor es wieder zu regnen beginnen würde. (…) Es war schon früher Abend, als ich in dem in der Nähe auf einer Klippe mit Meerblick gelegenen Gasthaus ankam, um wie verabredet mit den Polizisten noch ein abendliches Bier zu trinken. Beim Plaudern und Lachen – Polizisten in Zivil mit Bier im Kopf sind auch nur Menschen! – verging die Zeit rasch und die früh einsetzende Dunkelheit der Tropen erinnerte mich schließlich daran, dass ich wohl einmal zu meiner Gastgeberin zurückgehen und mein Zimmer beziehen sollte.
Als ich zu der einfachen Holzhütte, die Ila’s Wohn- und Schlafzimmer war, zurückkam, erwartete sie mich bereits im Schein der einzigen Glühbirne auf der Terrasse – zusammen mit zwei Polizisten in Uniform, deren Auto ich schon verwundert in der Einfahrt gesehen hatte!
„I was worried about you! You could have got lost! So I called the police and in five minutes they would have tone to search you! Where have you been????!!!” – “I had a beer with the police!”, war meine Antwort, auf die allseitiges schallendes Gelächter folgte.
Und natürlich kam dann von einem der Polizisten noch die auf Fiji allerorts wichtige Frage: „Are you married?“




an der Datumsgrenze

 bei der Polizei









bei Soso und Ila


Samstag, 21. Dezember 2013

Geschichten vom Reisen: Kapitel 1



Kai

Kai ging noch einmal zu den Hühnern und zu Emily, dem Hängebauchschwein, um sich zu verabschieden. Er fuhr noch einmal zu seinem Lieblingsplatz an der Summit Road, von wo aus man über die ganze Akaroa Peninsula und bis zu den Klippen an der Einfahrt zum „Akaroa Harbour“ von der Tasman Sea aus sah. Gestern hatte er ein letztes mal mit Elena und anderen Musikerfreunden auf seinen Bongos getrommelt, ein letztes Konzert gegeben.

Kai und Elena hatten sich vor acht Jahren in Indien auf einem Percussion-Workshop kennengelernt. Danach war er, der in Japan geboren worden und in San Francisco aufgewachsen war, mit Elena in ihre Heimat, nach Neuseeland gezogen. Dort hatten sie gemeinsam etwas aufgebaut: Die Wiederbelebung der alten Hilltop Tavern, die auf einer Passhöhe auf dem Weg nach Akaroa lag, in den 1920ern gebaut worden und mittlerweile ein leerstehendes, heruntergekommendes Gasthaus war.
Kai war der Handwerker, Koch und Pizzabäcker, Elena das „Mädchen für alles“, die Barfrau und Kaffeeköchin, und zugleich, oder vor allem, waren sie Ideenbringer, Verwirklicher, Chefs, Visionäre, Musiker, Veranstalter und ein Liebespaar.

Von der Terrasse und vom Garten der Hilltop Tavern – heute ein gut besuchtes Restaurant-Café, in dem wöchentlich Livekonzerte stattfinden, sieht man in fast 360 Grad auf den fjordähnlichen Akaroa Harbour, auf die Buchten und Halbinseln, Landzipfel und umliegenden Grashügel, im Herbst eine Komposition aus Gelb und Blau. Die Summit Road zieht sich in einem Halbkreis von der Passhöhe über viele Steigungen und Kurven und den ganzen Fjord ständig überblickend bis in das kleine Städtchen Akaroa mit seinem kleinen Leuchtturm am Bootshafen und seinen von englischen und französischen Siedlern gebauten alten Holzhäuschen mit Rosen in den Vorgärten.

Meine erste Woche im Hilltop war Kai’s letzte. Nachdem er und Elena sich vor eineinhalb Jahren getrennt hatten, das Restaurant aber dennoch gemeinsam weiterführten, war in ihm der Gedanke gereift, in seine Heimat San Francisco zurückzukehren und das nächste Kapitel seines Lebens zu schreiben. Elena hatte einen neuen Freund, einen ehemaligen Backpacker aus Belgien, der aus Geldmangel in Akaroa als Kellner zu arbeiten begonnen hatte und hier „hängengeblieben“ war. Nun war er Koch im Hilltop.

Ich beobachtete Kai beim Zusammenpacken seiner Dinge, seiner Bücher und Instrumente, und es tat mir im Herzen weh: Ich stellte mir vor, wie schwer es sein musste, nach so vielen Jahren des gemeinsamen Lebens und Tuns nicht nur sein neues Zuhause, seine Projekte und Freunde, sondern auch seine ehemalige Liebe zurücklassen zu müssen – auch wenn er mir gesagt hatte, dass dieser Neustart sich für ihn richtig anfühle: „It’s OK. I’m a buddhist – don’t hang on things…“.
Mir gefiel, wie er sich von allem – nicht nur von den Menschen, auch von Orten, Tieren und Gewohnheiten – bewusst verabschiedete.
Ich kannte ihn nicht gut genug, als dass er mir mehr von sich erzählt hätte. Doch als sein Auto zum letzten Mal durch das Tor des Hinterhofs in Richtung eines neuen Lebens davon fuhr, hatte ich Tränen in den Augen.